14.03.2023
Vor der 15. Stadtwerke-Konferenz: Ein Gepräch zur Energiewende
Am 21. März 2023 ist es so weit: Die zweitägige EUROSOLAR Stadtwerke-Konferenz öffnet ihre Tore.

Quelle: ASEW

Es ist die bereits 15. Auflage des Formats, veranstaltet von EUROSOLAR e.V. Die Konferenz steht diesmal unter dem Motto „Energiewende durch Bürger und Kommunen“.

Die Energiewende steht dieser Tage an einem bedeutenden Wendepunkt. Noch nie war sie so nötig wie jetzt – und gleichzeitig derart stark und von verschiedensten Seiten unter Beschuss. Wir haben dies zum Anlass genommen, das Thema etwas näher zu beleuchten. Im Interview dazu: Rosa Hemmers, Vizepräsidentin von EUROSOLAR e.V.

Frau Hemmers, zum 15. Mal richtet Eurosolar nun die Stadtwerke-Konferenz aus. Das Motto: Energiewende durch Bürger und Kommunen. Welche Rolle spielt denn diese Basis beim Vorantreiben der Energiewende?
Kommunen haben durch ihre planerischen Gestaltungsmöglichkeiten die wichtigen Sektoren der Energiewende – Energieversorgung und Mobilität – zu gestalten und können die Aufgaben des Klimaschutzes und der Resilienz beeinflussen. Kommunalparlamente und die Verwaltungen können die zukunftsverträgliche Lebensqualität der Bürger in einer Kommune stärken oder schwächen, je nach Art der Entscheidungen und ihres Handelns. Stadtwerke als (zumindest teilweise) kommunale Unternehmen habe dabei die Aufgabe und Kompetenz, eine nachhaltige Infrastruktur bereitzustellen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, Mobilitätsdienstleistungen anzubieten und vieles mehr.

Die Bürger und die Unternehmen sind nicht nur auf der Verwendungsseite als Verbraucher die wichtigste Gruppe, wenn Energieeffizienzmaßnahmen auch umgesetzt werden sollen, sondern sie sind seit den Anfängen der Nutzung erneuerbarer Energien auch Betreiber von regenerativen Erzeugungsanlagen und Produzenten von Strom und Wärme. 

Es ist das Motto der diejährigen EUROSOLAR Stadtwerke-Konferenz. Im Kontext der Energiewende schien es ja eher so, als gebe es ein gegeneinander zwischen Kundinnen und Kunden und den Energieversorgern. Ist das bei der Energiewende anders?
Das Verhältnis zwischen Versorgungsunternehmen und Kunden hat sich seit der Liberalisierung des Energiemarktes und dem Auftreten neuer Energieanbieter deutlich verändert. Mit der Möglichkeit der Kunden, sich selbst über EE-Anlagen mit Strom oder Wärme zu versorgen, traten neue Konfliktfelder auf, weil angestammte Geschäftsfelder der Energieversorger ins Wanken gerieten, Kunden auch zu Energieproduzenten wurden und ins „hoheitliche“ Stromnetz einspeisen wollten. Energieunternehmen sahen sich mit der Herausforderung konfrontiert, die Netzstabilität bei vielen verschiedenen nicht gesteuerten Einspeisern zu erhalten, Versorgungssicherheit zu bewältigen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Relevante energiewirtschaftliche Gesetze und technische Verordnungen waren noch nicht an die neue Situation angepasst und gingen nur in wenigen Fällen voran, wie z.B. beim EEG.

Es hat lange gedauert bis die traditionelle Energiewelt begriffen hat, dass es hier eine Wende gibt, an der sie maßgeblich gestaltend mitwirken können und wichtige Akteure sind. Stadtwerke waren hier – im Vergleich zu den großen Energieunternehmen – nah am Kunden und gehörten zu den frühen Akteuren der Energiewende. Dies waren zusammen mit dem Druck des Energiemarktes wichtige Impulse, sich schneller mit neuen Konzepten zu befassen. Allerdings gibt es hier immer noch verschiedenste Schnelligkeiten der Entwicklung, auch abhängig von der Kommunalpolitik.

Oft liest man, Stadtwerke seien Motoren der Energiewende. Inwiefern trifft das Ihrer Erfahrung nach zu und wo besonders?
Stadtwerke sind breit aufgestellte Infrastrukturdienstleister für die Kommunen. Das bedeutet vielerlei: Sie sind die Verantwortlichen auf der Verteilnetzebene, der Netzebene, wo sich die Einspeisung von EE-Anlagen – vielfältig in Art und Größe – maßgeblich abspielt. Nur hier kann Verbrauch und Erzeugung auf kurzem Weg und intelligent zusammengebracht werden. Sie haben den direkten Kontakt zu den Kunden, für die sie passende Produkte entwickeln und anbieten, um Energieeffizienz und EE-Erzeugung voranzubringen, sie decken meist viele Versorgungssektoren ab wie Strom, Wärme und Kälte, Mobilität, Entsorgung etc., alles Bereiche die im Zuge der Sektorkoppelung für eine 100prozentige Versorgung ohne fossile Energieträger kombiniert werden müssen. Sie betreiben selbst in nennenswertem Maße erneuerbare Energien Anlagen oder beteiligen sich an großen Anlagen wie Offshore Windparks.

Von daher sehen wir Stadtwerke wirklich als Motoren der Energiewende, auch wenn immer noch nicht alle die Aufgabe proaktiv annehmen.

Erklärtes Ziel von EUROSOLAR ist ja letztlich eine 100 Prozent erneuerbare Energieerzeugung. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit wir möglichst effizient und schnell dorthin gelangen?
Eine 100prozentige Ablösung der fossilen durch erneuerbare Energieträger muss alle Sektoren umfassen und diese miteinander verknüpfen. Um effizient zu sein, dürfen keine Energieströme verloren gehen, keine Potenziale ungenutzt bleiben, so spielen die Erneuerbaren ihre wahren Vorteile aus. Dabei ist es besonders wichtig neben der Sektorkoppelung auch Speichertechnologien und -medien mit zu bedenken, um die volatilen Angebote für eine Vollversorgung auch voll ausschöpfen zu können. In den letzten Jahren lag die Fokussierung sehr auf die erneuerbare Stromerzeugung aus Wind und Sonne. Speicherbare erneuerbare Energiequellen wie Biomasse, Biogas aus biogenen Abfällen oder Geothermie und die Wasserkraft gerieten in den Hintergrund. So bleiben bei Netzengpässen wertvolle Potenziale ungenutzt, weil die entsprechenden Systemkomponenten wie Speicher, Laststeuerungen zwischen den Sektoren oder passende Abnehmer im Wärme- oder Mobilitätsbereich nicht verfügbar sind. Sektorale Optimierungen sind wenig wirkungsvoll, wenn wir nicht das Gesamtsystem betrachten und die Koppelung der Sektoren auf intelligente Weise voranbringen, auf der Gebäudeebene ebenso wie auf Quartiers- und Stadtebene.

Welche Rolle kommt in diesem Kontext den Stadtwerken zu?
Die Stadtwerke spielen dabei eine wichtige Rolle, weil sie genau auf dieser Ebene die verantwortlichen Akteure sind. Auf der Gebäudeebene können sie durch passende Energiedienstleistungsprodukte oder durch Contracting die Verbraucher unterstützen, auf der Quartiersebene können sie durch ganzheitliche Konzepte zur erneuerbaren Strom-, Wärme- und Mobilitätsversorgung inklusive Speicher als Betreiber beitragen oder entsprechende Investoren unterstützen. Auf kommunaler Ebene können sie sich proaktiv in die Stadt- / Gemeindeentwicklungsplanung einbringen, um sich in den Bereich der Ver- und Entsorgung, aber auch der Mobilität mit ihrer Kompetenz einzubringen und so zum Gelingen einer klimaneutralen Kommune beizutragen.

Der zentralen Wärmeversorgung kommt eine besondere Rolle zu. Wärmenetze sind dabei systemrelevant, weil sie unterschiedlichste Wärmequellen nutzen können, z.B. kann Wärme aus Geothermie, großen thermischen Solaranlagen, aber auch Abwärme von Betrieben oder aus dem Abwasser eingespeist werden, ergänzt durch große Speicher auch für überschüssigen erneuerbaren Strom, der sonst ungenutzt bleiben würde.

Viele Stadtwerke sind in allen für die Sektorkoppelung relevanten Kompetenzbereichen die örtlichen Akteure und sollten diese Möglichkeiten noch mehr ausschöpfen.

Oft ist ein Knackpunkt die Bevölkerung vor Ort. Gefühlt bringt jedes neue Windradprojekt eine Bürgerinitiative hervor, die aus verschiedenen Gründen dagegen ist. Wie lässt sich Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern für Projekte vor Ort generieren?
Das ist eine wichtige Frage, weil auch EE-Projekte unter dem zunehmenden Trend zu leiden haben, dass Großprojekte mit viel Widerstand zu rechnen haben. Dennoch kommt es hier sehr auf die Art der Projekte an. Wenn die örtliche Bevölkerung in die Projekte auch als Teilhaber eingebunden ist bzw. die Möglichkeit dazu bekommt, ist der Widerstand geringer, weil sich in der Bevölkerung auch die Befürworter befinden und sich zu Wort melden. Auch wenn keine Genossenschaften vor Ort sind, die Stromerzeugung und Wärmeversorgung lokal organisieren, kann durch vertragliche Gestaltung mit Investoren ein Teil der Gewinne in kommunale Projekte fließen. So wird der Nutzen der Anlagen für die Allgemeinheit sichtbar. Aber auch Projekte von Bürgerenergiegemeinschaften oder der Kommune selbst können dazu beitragen, dass Debatten nicht mehr geführt werden entlang der Argumentationskette, ob, sondern wie die EE-Anlagen umweltverträglich umgesetzt werden können. Merkwürdigerweise fragt niemand oder nur wenige, warum schon wieder ein neues Gewerbegebiet mit exorbitantem Flächenverbrauch auf der grünen Wiese erschlossen wird. Noch leiden regenerative Erzeugungsanlagen an der jahrzehntelangen negativen Einstellung und Presse über erneuerbare Energien und es bedarf einer allgemeinen Aufklärung und Kommunikation über den Nutzen der Erneuerbaren Energien für unsere Versorgungssicherheit, für die eigene Autonomie, für die ökonomischen Vorteile, für das Gemeinwohl, für die Arbeitsplätze, das Klima. Positivbeispiele können hier hilfreich sein, aber auch deutliche Worte und Aufklärung, dass wir alle anderen fossilen Energieträger – außer Kohle – nicht im eigenen Land haben, und uns von anderen meist autokratischen Herrschersystemen abhängig machen.

Stichwort Dagegen sein: Es hat sich über die Jahre hier ja eine Art Gegenbewegung institutionalisiert. Bekanntester Name in diesem Zusammenhang ist sicher EIKE. Wie schätzen Sie die Rolle dieser „Anti-Erneuerbaren-Lobby“ ein?
Ich würde sie nicht als „Gegenbewegung“ aufwerten, eher als Geröll am Wegesrand. Bei großen Transformationen und Veränderungen gibt es immer auch Gegenbewegungen, zumal wir in der hiesigen Gesellschaft seit Jahren eine diffuse Protestbewegung sehen, die immer neue Themen aufgreifen, um „en vogue“ zu bleiben. Was die Energiewende betrifft, so hatten wir früher Gegenstimmen aus den etablierten fossilen Energiebereichen und der Atomlobby, weil ihre Geschäftsgrundlagen zunehmend bedroht erschienen und die traditionelle Energiewirtschaft die neuen kleinen Energieerzeuger – unabhängige Energieproduzenten und Genossenschaften – als Störenfriede für Machtstrukturen und Netzstabilität sahen. Hier hat ein großes Umdenken stattgefunden, weil sie selbst zu Akteuren in diesem Bereich mit gewinnbringenden Geschäften geworden sind.

Es gibt Kritiker, mit denen man sich ernsthaft auseinandersetzen kann und muss, weil man im konstruktiven Dialog noch bessere Lösungen findet und man sie auch für eine umfassende Transformation des fossilen Energiesystems braucht.

Dazu zähle ich nicht die von Ihnen benannte Gruppierung oder solche in dieser Richtung, die die Aussagen von vielen ernstzunehmenden Wissenschaftlern / Untersuchungen und die von ihren vorgelegten Belege als Fake News abstempeln und ihre eigenen diffusen Ansichten dafür als wahre Erkenntnisse bewerten. Diese Leute sind keine Gefahr für die Energiewende, sie sind bestenfalls lästig. Sich mit ihren Thesen zu befassen, hält einen von der wichtigen Arbeit ab. Aber es gibt andere Herausforderungen, da kommen wir noch zu.

Wie blicken Sie auf die Atomkraft? Könnte diese eine mögliche Brückentechnologie sein, etwa auch mit dem Konzept der Small Modular Reaktors?
Zunächst möchte ich hinterfragen, warum man überhaupt eine „Brückentechnologie“ braucht, Es ist klar, was gemacht werden muss und zwar mit Hochdruck: Energieeffizienz, Erneuerbare Wärme, Ausschöpfung aller möglichen Potenziale zur Nutzung Erneuerbarer Energien inklusive dem Abfallbereich, Entwicklung neuer Antriebe und Treibstoffe. Darauf müssen wir unsere Energie, Engagement, Kapital und Fachkräfte fokussieren. Investitionen in „Brückentechnologien“, die nicht gezielt der Transformation unseres bestehenden Energiesystems hin zu einem erneuerbar tauglichen Energiesystem dienen, sind „Stranded Investment“. Sie verlangen aus ökonomischen betriebswirtschaftlichen Gründen einen Betrieb entsprechend ihrer Lebensdauer und bedeuten damit eine Verzögerung des Umbaus. Unter diesem Aspekt sind auch die jetzt in der Krise getätigten Investitionen in den Bau von LNG-Terminals zu sehen.

Schon die Benennung der Kernkraft als eine Möglichkeit im Pariser Klimaabkommen von 2015 zur Eindämmung der Erderwärmung auf 1,5° Celsius und nun in Folge die Nennung der Atomkraft (und der Gaskraftwerke) in der EU-Taxonomie für grünes Investment sind aus unserer Sicht schwere Fehler, weil sie zwar die nationalen Interessen der beteiligten Staaten widerspiegeln, aber in die Sackgasse führen. Hier gilt es Transparenz zu schaffen und gegen die Missbräuche anzugehen.

Uran ist eine Ressource, die Deutschland ebenfalls nicht hat und die endlich ist. Das Endlagerproblem ist überhaupt nicht gelöst, in Deutschland nicht einmal ernsthaft angegangen. Die Krisenanfälligkeit dieser Technologie wird uns gegenwärtig täglich vor Augen geführt. Wie kann man verantwortungsvoll für unsere Welt und spätere Generationen eine solche Technologie vertreten, die schon systemimmanent durch uns, die wir sie verursachen, nicht lösbare Probleme erzeugt. Bei Atomkraft haben wir also die gleichen Probleme der Ressourcenknappheit wie bei Öl und Gas, also scheidet diese Technologie auch unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit aus. Und das Problem der Erderwärmung mit einer noch gefährlicheren Technologie lösen zu wollen, ist schlichtweg gegenüber unserem Planeten und den nachkommenden Generationen ignorant und egoistisch. Die Protagonisten dieser Technologie vertreten das Ziel des „weiter so“ ohne nennenswerte Änderungen in der Wirtschaftsweise, den Machtverhältnissen und dem Umgang mit der Natur.

Leider hat Deutschland in Europa mit seinem Weg der Nutzung erneuerbarer Energien und dem „Aus“ für die Kernkraft nicht so viele Mitstreiter und es werden gegenwärtig weniger. Das wird die zukünftigen Debatten verschärfen.

Eng verknüpft ist die Energiewende von Beginn an mit dem Thema Klimaschutz. Dieser scheint ja mit der Energie-Krise ein wenig in den Hintergrund gerückt zu sein. Sehen Sie Chancen für Stadtwerke, hier wieder als belebender Impulsgeber zu wirken?
In der Tat ist mit der gegenwärtigen Energie-Krise das Thema Klimaschutz in den Hintergrund gerückt. Das ist fatal, weil das wichtigste Argument für die erneuerbaren Energien damit nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Versorgungssicherheit. Allerdings schließen sich diese Argumente nicht aus. Betrachtet man nachhaltige Energieversorgung durch erneuerbare Energien lokal, so kann man an vielen Stellen und bei jeder CO2-Bilanz, die zunehmend von Kommunen und auch Unternehmen, wie die Stadtwerke, gemacht werden, sehen und kommunizieren, welchen konkreten Beitrag die EE zur CO2-Reduktion leisten. Stadtwerke können durch ihr eigenes Handeln, in den eigenen Projekten immer wieder deutlich machen, dass sie Anlagen betreiben, die dem Klimaschutz dienen. Dies ist vor allem auch bei einer lokalen Wärmestrategie möglich, die in den nächsten Jahren durch die kommunale Wärmeplanung immer stärker in den Fokus rückt.

Aber auch mit ihrer Nähe zu den Verbrauchern, die täglich Entscheidungen für entsprechende Investitionen oder Verhaltensweisen fällen, sollten Stadtwerke ihre Produktpalette überdenken, ausweiten und die Kunden damit unterstützen. Mit der Entwicklung von diversen Energiedienstleistungen in der Vergangenheit haben Stadtwerke eine gute Basis, diese offensiv auszuweiten und auch neue Wege zu beschreiten. Auch Aufklärung, Beteiligung bei Anlagen, effizienzfördernde Tarifmodelle, Kooperationen zur konkreten Umsetzung von Maßnahmen mit anderen Akteuren vor Ort, PPP mit Unternehmen und vieles mehr können den Klimaschutz durch konkrete Maßnahmen voranbringen. Dabei sind auch die Erfolgskontrolle und die Kommunikation über die Erfolge ein ernstzunehmender Aspekt, um für eine solche Aktion vor Ort den nötigen Rückenwind zu bekommen. So kann eine Dynamik in Gang gesetzt werden, die die lokalen Kräfte bündelt. Die Aufgaben sind so vielfältig und dringlich, dass nur im Schulterschluss mit allen relevanten Akteuren die Energiewende die nötige Dynamik entwickelt.

Nachdem die Solarindustrie nach den 2000er-Boomjahren in Deutschland ja eher wieder marginalisiert wurde, scheint jetzt eine lokale Solarindustrie wieder möglich zu sein. Auch bekannte Namen werben dafür, etwa der ehemalige VW-Chef Herbert Diess mit seinem Ansatz Euro Solar. Sehen Sie hier einen möglichen Hoffnungsschimmer für mehr Tempo bei der Energiewende?
Eine konzertierte Aktion in Deutschland und darüber hinaus in Europa ist wichtig, um wieder an Bedeutung im Bereich der erneuerbaren Energien zu gewinnen.

Dieser Ansatz von Herrn Diess ist zwar werbewirksam und hat ja auch in der Presse Beachtung gefunden. Sieht man mal davon ab, dass der Name EUROSOLAR durch uns schon besetzt ist, so ist die Zielrichtung, eine neue Aufbaustrategie für eine europaweite Solarinitiative und Ausbaustrategie dringend nötig. Allerdings wären solche Stimmen zu früherer Zeit, als auch diese Kreise noch voll auf der fossilen Schiene wirtschaftlich tätig waren, hilfreich gewesen. Aber da gab es kaum ernsthafte Lobbyarbeit von dieser Seite für die Erneuerbaren.

Fakt ist: Nachdem in Deutschland die guten Voraussetzungen einer florierenden Solar- und Windenergie politisch motiviert heruntergefahren wurden, ist es mühsam hier wieder anzuknüpfen. Die Machtverhältnisse haben sich grundlegend geändert, Deutschland ist nicht mehr der Front Runner. Wir sind im Solarbereich total abhängig von China, und im Windenergiebereich inzwischen auch schon zu einem großen Teil. Leider haben wir in Deutschland und in Europa nicht dazugelernt und befinden uns bezogen auf diese Technologien ebenfalls in handelspolitischen Beziehungen, die kaum die Dynamik hervorbringen können, die notwendig wäre, um unsere Ziele zu erreichen. Mit den neuen Steuervergünstigungen und Subventionen in den USA wird dies umso schwieriger. Da wäre es natürlich hilfreich, wenn Deutschland und die EU ähnlich zielgerichtet diese Branchen unterstützen würden, dies sehe ich jedoch nicht.

Bis 2045 soll Deutschland ja tatsächlich klimaneutral sein. Wie ist ihre Vision für Deutschland 2045?
Ob Visionen Tatsachen werden, zeigt erst die Evaluation zum Zeitpunkt der Ziellinie. Und es wäre hilfreich, wenn solch existenzielle Entscheidungen eine längere Gültigkeit hätten als eine Legislaturperiode. Aber die Richtung ist vorgegeben, was schon gut ist. Ob wir jedoch dies erreichen hängt entscheidend von einer stringenten Strategie ab, die alle Energieressourcen betrachtet, inklusive der Potenziale aus der Entsorgung, die alle Anwendungsbereiche – Haushalte, GHD, Industrie, Verkehr – auf die Dekarbonisierung verpflichten, die Energie und andere allgemeinen Güter.

Unser Ziel ist es, auf die richtige Weichenstellung für eine möglichst schnelle 100prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien hinzuwirken, damit für die verschiedensten willigen Akteure Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass sie aktiv an der Energiewende mitwirken können. Wir werden möglichst nah am Verbrauchsort dezentral Energie erzeugen und sie sorgsam nutzen, damit man nur wenige Energieströme kostenintensiv und verlustreich transportieren muss. Speicherkapazitäten gleichen Zeiten mit Überschuss mit solchen aus, wo Bedarf besteht. Intelligente System übernehmen hier die Steuerung. Gewerbegebiete erhalten ein Portfoliomanagement, damit diese auch klimaneutral betrieben werden, um nur einige Beispiele zu nennen. Wo hohe Energiebedarfe notwendig sind, werden Versorgungslösungen entwickelt, die einen Ausgleich zwischen Regionen ermöglichen, z.B. über Wasserstoffnetze oder andere Netze.

Es müssen die normativen Regelungen geschaffen werden, um die Dynamik voranzubringen und dort umzusetzen, wo freiwillig nichts passiert. Die Klimaneutralität Deutschlands darf jedoch nicht zulasten anderer Staaten erfolgen. Es nützt dem Klima nicht, wenn wir auf der grünen Insel sitzen und dies durch Kompensation erreichen.

Wir schaffen es nur im Kontext von fairen Verträgen und Geschäftsbeziehungen, das gilt auf lokaler Ebene ebenso wie auf europäischer und globaler Ebene.

Frau Hemmers, wir danken Ihnen für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch!

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