20.03.2023
Net-Zero Industry Act: Frankreich begrüßt Einbeziehung von Kernenergie
Atomkraft hat Einzug in die Strategie für eine dekarbonisierte und autonome europäische Industrie aufgenommen.

Quelle: EURACTIV

Befürworter sehen darin ein „positives politisches Signal“, auch wenn die Formulierung als wenig schlagkräftig gilt.

Am Donnerstag (16. März) stellte die Europäische Kommission ihren Net-Zero-Industry Act vor. Dabei handelt es sich um einen Rechtsakt, der sich zum Ziel setzt, mindestens 40 Prozent der Technologie, die zur Erreichung der Klima- und Energieziele der EU bis 2030 benötigt wird, in Europa zu produzieren.

Neben dem Chips-Act für Halbleiter und dem Gesetz über kritische Rohstoffe ist der Net-Zero Industry Act (NZIA) „Teil der europäischen Antwort auf den IRA“ – den US Inflation Reduction Act – sagte der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton auf einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Vorschlags.

Um der Industrie neuen Elan zu geben, listet der Text acht „Netto-Emissions-Technologien“ auf, deren Markteinführung von der EU gefördert werden könnte. Die Liste umfasst Solar- und Windenergie, Speicher- und Wärmepumpen sowie Kernkraft.

„Und ja, wir konnten uns auf die Notwendigkeit einigen, die Kernenergie in diesen Vorschlag aufzunehmen. Denn es ist an der Zeit, über Ideologien hinauszugehen“, fügte Breton hinzu.

Atomkraft wird auch gefördert

Frankreich hat die Aufnahme der Kernenergie bereits begrüßt, auch wenn diese zur Zitterpartie wurde. Als das Dokument zum ersten Mal der Presse zugespielt wurde, stand die Kernenergie ganz oben auf der Liste. Doch in den darauf folgenden Tagen kamen Zweifel auf.

Am Dienstag (15. März) berichtete die Finacial Times, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und Breton mit dem EU-Klimachef Frans Timmermans und der Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager darüber stritten, ob Atomkraft aufgenommen werden sollte.

Die Diskussionen sollen sogar bis wenige Minuten vor der Präsentation des Textes gedauert haben, so eine Journalistin von Politico.

Die Kommissare einigten sich schließlich auf den Kompromiss, dass „fortschrittliche Technologien zur Energieerzeugung aus Kernkraft mit minimalem Abfall und kleinen modularen Reaktoren“ Teil der „Netto-Null-Technologien“ sind.

Ausschluss des Ausstiegs aus der Kernenergie

Bestehende Nukleartechnologien, wie die zweite Generation von Druckwasserreaktoren [PWR], die Frankreich entwickeln möchte, sind jedoch von dem Text ausgeschlossen.

Im Moment sei es jedoch „das Wichtigste, dass die Kernkraft im Text enthalten ist“, so der französische Europaabgeordnete Christophe Grudler von der liberalen Renew-Gruppe gegenüber EURACTIV.

Dies beunruhigt jedoch Frankreichs Atomindustrie.

„Die Tatsache, dass Technologien der zweiten und dritten Generation [von Kernreaktoren] nicht enthalten sind […], zeigt die Blockaden an der Spitze der Kommission“, erklärte Erkki Maillard, Direktor für europäische Angelegenheiten bei EDF.

Er räumte ein, dass die Aufnahme der Kernenergie in den Kommissionsvorschlag hauptsächlich ein „positives politisches Signal“ darstelle.

„Es ist eine offene Tür für außereuropäische Konkurrenten, die zum Beispiel in Polen bereits etabliert sind, wie das amerikanische Westinghouse, das südkoreanische KHNP und das britische Unternehmen Rolls-Royce“, hieß es aus Kreisen der französischen Atomindustrie.

Grudler erklärte jedoch: „Es sind noch Verhandlungen zu führen, bevor eine Vereinbarung getroffen wird. Das Europäische Parlament wird die Führung übernehmen und den Text verbessern, insbesondere im Hinblick auf die Einbeziehung der bestehenden Kernkraftwerke.“

Eine ungewisse nukleare Zukunft

Auch bei den künftigen Nukleartechnologien besteht Ungewissheit.

Obwohl sie in der Liste der „Netto-Null-Technologien“ aufgeführt sind, erscheinen sie nicht im Anhang des Vorschlags. Insiderkreisen zufolge sind im Anhang jedoch die so genannten „strategischen Netto-Null-Technologien“ aufgeführt, für die „der Marktzugang begrenzt ist.“

Als er auf einer Pressekonferenz dazu befragt wurde, antwortete Timmermans lediglich, dass das Kollegium der Kommissare eine „neutrale Position“ in Bezug auf die Auswahl der Technologien beibehalten habe, und bezog sich dabei „genau auf den Wortlaut der grünen Taxonomie der EU“, in der nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten aufgeführt sind, die von Finanzierungsmöglichkeiten profitieren.

Auf der Pressekonferenz appellierte Timmermans auch an die Befürworter der Kernenergie, keine „ideologische Entscheidung“ zu treffen, sondern „zu rechnen.“ „Erneuerbare Energien werden fast jeden Tag billiger, was bei der Kernenergie nicht der Fall ist.“

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