23.11.2023
EU-Parlament unterstützt Atomkraft in Net-Zero-„Wunschliste“
Das Europäische Parlament stimmte am Dienstag (21. November) für die Aufnahme von 17 Technologien – einschließlich der Atomkraft – in den Net-Zero Industry Act der EU.

Quelle: enerNEWS-Partner EURACTIV

Die Liste könnte aber wieder schrumpfen, wenn das Gesetz mit den Mitgliedsstaaten ausgehandelt wird.

Die EU-Abgeordneten, angeführt von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der liberalen Fraktion Renew und den Sozialdemokraten (S&D) nahmen die Position des Parlaments mit 376 Ja-Stimmen, 139 Nein-Stimmen und 116 Enthaltungen an.

„Dies ist eine gute Nachricht für das Klima und die europäische Wirtschaft und eine klare Antwort auf die Amerikaner und ihren IRA [Inflation Reduction Act]“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler, Chefverhandler des Parlaments für das Gesetz.

Der von der EU vorgeschlagene Net-Zero Industry Act (NZIA), der ursprünglich im März vorgelegt wurde, muss nun noch mit den EU-Mitgliedsstaaten im Ministerrat ausgehandelt werden. Diese könnten Anfang Dezember über ihre Position entscheiden, sodass anschließend über die endgültige Fassung des Gesetzes beraten werden kann.

In seinem Standpunkt beschloss das Parlament, die Entwicklung von 17 Technologien zu unterstützen, die für den Übergang Europas zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050 als wesentlich angesehen werden.

Seit dem ursprünglichen Vorschlag durch die Europäische Kommission im März dieses Jahres wurde der Text umfangreich überarbeitet.

Ursprünglich umfasste der NZIA 10 Technologien – statt der jetzigen 17 – und hatte zwei getrennte Prioritätenlisten, von denen eine als „strategisch“ und die andere als zweitrangig eingestuft wurde.

In einer Abstimmung am 25. Oktober hat der Industrieausschuss des Parlaments (ITRE) die Idee einer doppelten Liste aufgegeben und die Atomkraft vollständig in das Gesetz aufgenommen, einschließlich Technologien wie kleiner modularer Reaktoren und traditioneller Reaktoren, die ursprünglich ausgeschlossen worden waren.

17 Technologien

Das Netto-Null-Industrie-Gesetz zielt darauf ab, den Aufbau von Produktionsanlagen für Technologien zu beschleunigen, die als wesentlich für die Erreichung der Klimaneutralität angesehen werden, und zwar sowohl durch finanzielle als auch durch politische Unterstützung.

Zu den 17 Technologien, die vom Parlamentstext abgedeckt werden, gehören erneuerbare Energien (Wind- und Solarenergie), Atomkraft (Kernspaltung, Kernfusion, Brennstoffkreislauf), Energiespeicherung; Abscheidung, Transport, Injektion, Speicherung und Nutzung von CO2, Methan und Distickstoffoxid; Wasserstoff (Verkehr, Elektrolyseure, Brennstoffzellen, Antrieb und Infrastrukturen für Produktion und Betankung), alternative Kraftstoffe, Biomethan, Ladeinfrastruktur für E-Autos, Wärmepumpen, Energieeffizienz, thermische Energieverteilung und Stromnetze, thermonukleare Fusion, Elektrifizierung und hocheffiziente industrielle Prozesse für energie- und CO2-intensive Industrien, Herstellung von Biomaterialien und Recycling.

Im Vorfeld der Abstimmung haben einige Abgeordnete bereits die Notwendigkeit infrage gestellt, das Feld für so viele Technologien zu öffnen.

„Es ist ein bisschen wie eine Einkaufsliste oder ein Weihnachtswunschzettel“, sagte der Vorsitzende des Umweltausschusses des Parlaments, Pascal Canfin (Renew), am Freitag (17. November) gegenüber Journalisten.

Für Christophe Grudler, dem Sprecher der liberalen Renew-Fraktion, besteht das Ziel darin, jedem EU-Land die Möglichkeit zu geben, die Technologien zu entwickeln, die seinen nationalen Bedürfnissen und Kapazitäten entsprechen.

„Die Niederlande [beispielsweise] setzen auf Energie aus dem Meer, Österreich setzt auf Wasserkraft“, während Frankreich auf Atomkraft und erneuerbare Energien setze, erklärte Grudler vor der Abstimmung. „Entscheidungen sind oft mit geografischen Gegebenheiten verbunden“, sagte er.

Kommende Verhandlungen

Nachdem das Europäische Parlament nun seinen Standpunkt festgelegt hat, hofft Grudler, dass der Text schnell final angenommen wird.

Die ersten Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommission – bekannt als Trilog – sind für Dezember geplant, „aber wir müssen spätestens im Januar fertig sein“, so Grudler.

„Der Zeitfaktor macht mir Sorgen, denn wenn wir nicht in der Lage sind, vor der Plenarsitzung im April im Trilog abzustimmen, werden wir erst im September/Oktober nächsten Jahres wieder abstimmen“, warnte er angesichts der bevorstehenden Europawahlen im Juni 2024.

In diesem Stadium der Diskussionen befürchtet Grudler, dass die im Rat versammelten EU-Minister den Umfang der Liste verringern wollen.

„Es besteht das Risiko, dass der Rat einen Antrag auf eine wesentlich eingeschränktere Liste stellt“, so Grudler, der darauf hinwies, dass Parlament und Rat in dieser Frage „nicht einer Meinung sind.“

In diesem Zusammenhang „könnten einige Technologien zur Debatte stehen“, fügte er hinzu, ohne sie zu nennen. Dazu könnten Recycling und Biomaterialtechnologien gehören.

Atomkraft könnte noch für Streit sorgen

In Bezug auf die Atomkraft haben Grudler und Canfin jedoch eine Schmerzgrenze gezogen und sagen, dass diese nicht infrage gestellt werden dürfe.

Doch die EU-Minister im Rat sehen das möglicherweise anders. Beispielsweise Österreichs Position zur Atomkraft sei unverändert, so ein EU-Diplomat gegenüber Euractiv, der andeutete, dass Wien versuchen wird, die Atomkraft aus dem NZIA auszuschließen.

Im Parlament sei der Geltungsbereich des NZIA erheblich ausgeweitet worden, um bei der Abstimmung im Plenum eine ausreichend breite Mehrheit zu erhalten, erklärte Canfin. Er rechne mit heftigen Diskussionen, um die Liste bei den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten im Rat der EU einzugrenzen.

„Der Geltungsbereich wird wahrscheinlich im Trilog eingegrenzt werden müssen, denn es gibt einen offensichtlichen Kompromiss: Je breiter die Liste ist, desto mehr können alle zustimmen. Aber nicht alles ist strategisch“, so Canfin, der andeutete, dass eine kürzere Liste sinnvoll wäre.

Umweltgruppen befürworten ebenfalls eine restriktivere Liste – ohne die Atomkraft und Technologien wie die CO2-Abscheidung und -speicherung (CCS), die als zu unsicher angesehen werden.

„Das Parlament hat die Liste für imaginäre Patentrezepte geöffnet, die möglicherweise nie zum Tragen kommen werden, was bedeutet, dass das Geld der Steuerzahler von den grünen Schlüsseltechnologien abgezogen wird, die für eine rechtzeitige Dekarbonisierung der europäischen Industrie erforderlich sind“, warnte Camille Maury vom EU-Büro des WWF.

Laut Canfin wird die Debatte um Atomkraft bei den Verhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten über die endgültige Fassung des Gesetzes wahrscheinlich wieder aufflammen.

„Ich denke, dies ist ein typischer Text, der im Parlament aufgebläht und danach wieder gestrafft wird“, sagte der französische Europaabgeordnete am Freitag (17. November) bei einer Pressekonferenz.

„Und in diesem Zusammenhang wird die Atomfrage unweigerlich wieder auftauchen“, fügte Canfin hinzu. Er rechne mit hitzigen Diskussionen im Rat zwischen Frankreich und Deutschland, die – wie bereits im Mai bei der Richtlinie über erneuerbare Energien – bei dem Thema „noch einen Anlauf nehmen“ werden.

„Ich möchte dem Endergebnis nicht vorgreifen, aber ich hoffe, dass wir gemeinsam klug genug sind, den Kampf, den wir bereits bei der Richtlinie über erneuerbare Energien und der Reform des Strommarktes geführt haben, nicht zu wiederholen“, sagte Canfin.

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