21.12.2023
Kernenergie: „Werkzeug des Kremls“ in deutscher Brennelemente-Fabrik?
Atomkraft-Gegner kritisieren die geplante Erweiterung der Brennelementefabrik in Lingen. Sie argumentieren, geopolitische Risiken aus einer Beteiligung von Rosatom würden verschwiegen.

Quelle: enerNEWS-Partner Energie & Management

Der Antrag stammt von März 2022, und von kommendem Januar an kann sich die Öffentlichkeit ein Bild von dem Vorhaben machen. Am 20. Dezember wies das niedersächsische Umweltministerium als Landesatombehörde auf ein Genehmigungsverfahren „zur Fertigung hexagonaler Druckwasser-Brennelemente des Typs VVER“ in der Brennelementfabrik in Lingen hin.

Antragsteller ist die Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF), eine Tochtergesellschaft der Framatome, die wiederum dem französischen Staatskonzern EDF gehört. Framatome betreibt in Frankreich ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Atomkonzern Rosatom.

„Dieses Joint Venture zielt vor allem auf den Ausbau der Brennelemente-Fabrik in Lingen ab. Eine neue Produktionslinie soll Brennelemente russischer Bauart herstellen“, sagt Armin Simon, Atomkraftgegner von der Organisation „Ausgestrahlt“. Das deutsche Kürzel für VVER ist WWER und steht Wasser-Wasser-Energie-Reaktor. Das sind bestimmte Reaktortypen sowjetisch-russischer Technologie, wie Simon erklärt.

Simon sieht die Gefahr, dass Rosatom Zugriff auf sicherheitsrelevante Informationen aus Atomanlagen in aller Welt bekommen könnte. EDF ist weltweit der größte Betreiber von Kernkraftwerken, die Fabrik in Lingen versorgt Atommeiler in vielen Ländern Europas mit Brennstäben. Die Anti-Atom-Bewegung befürchtet, dass Mitarbeiter von Rosatom in Lingen bald ein- und ausgehen könnten.

Umweltminister: Auch Atomgeschäfte mit Putin beenden

Simon wirft dem Landesministerium vor, die Öffentlichkeit im Dunkeln zu lassen. „Mit keinem Wort erwähnt das Ministerium, dass der beantragte Ausbau der Atomfabrik den Einstieg des russischen Staatskonzerns Rosatom in die Brennelemente-Fertigung in Lingen bedeutet“, so kritisiert er die amtliche Bekanntmachung. Die Gefahren, so Simon, „müssen im anstehenden Genehmigungsverfahren zwingend miterörtert und berücksichtigt werden


Anstoß zu der Kritik an der Behörde hat offenbar allein die öffentliche Bekanntmachung des Verfahrens im Bundesanzeiger und niedersächsischen Ministerialblatt gegeben.

Politisch hat sich das Haus dagegen bereits klar positioniert: „Geschäfte mit Putin sollten beendet werden, das gilt auch und gerade für den Atombereich. Dies durch Joint Ventures, direkte oder indirekte Beteiligungen Russlands zu verfestigen, halte ich politisch angesichts Putins brutalem Energiekrieg gegen Europa für fatal“, so kritisiert Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer die kommerzielle Verflechtung.
 
In Abstimmung mit der Atomaufsicht des Bundes

Niedersachsen, so ein Sprecher des Ministeriums, setze sich seit Längerem für ein Ende der Zusammenarbeit mit Russland auch im Atombereich ein und kritisiere die nicht unter Sanktionen stehenden Importe russischem Urans zur Herstellung von Brennelementen für europäische AKW, unter anderem nach Lingen. 

Die Antragsunterlagen sollen vom 4.  Januar bei der Stadtverwaltung in Lingen und im Umweltministerium öffentlich ausliegen. Einwendungen gegen das Vorhaben lassen sich wirksam bis 3. März erheben.

Die Entscheidung über den Erweiterungsantrag liegt formal in Niedersachsen, die Atomaufsicht des Bundes redet aber ein Wort mit. „Nach Atomgesetz stimmen wir uns eng mit dem Bund ab, und der Bund wird am Verfahren beteiligt werden. Bei der Entscheidungsfindung werden alle Fragen der äußeren und inneren Sicherheit und auch die Kooperation mit Russland eine Rolle spielen“, sagt der Ministeriumssprecher sinngemäß dieser Redaktion.

Die geopolitische Funktion von Rosatom

Dass ANF mit Rosatom kooperiert, hält die Anti-Atomkraft-Organisation für einen „Skandal“. „Rosatom ist ein Werkzeug des Kremls“, sagt Simon. Der Atomriese bündle den militärischen und zivilen Atomsektor Russlands, vom Uranbergbau bis zu den Atomwaffen. „Mit dem Bau von AKW in zahlreichen Ländern schafft er jahrzehntelange Abhängigkeiten und setzt so geopolitische Ziele des Kreml um.“ So eifrig die Politik in Europa im Schnüren von Sanktionspaketen gegen Russland ist: Der Nuklearsektor ist davon nicht betroffen. Europa importiert weiter russisches Uran.

Simon vermutet, dass die Fabrik auf Basis der gegenwärtigen Produktionstechnik nicht mehr ausgelastet ist. Der Erweiterungsantrag der Framatome-Tochter ANF betrifft die Brennstab- und die Brennelemente-Fertigung. So sollen laut amtlicher Bekanntmachung bei der Brennstab-Fertigung zur Verschweißung beladener Hüllrohre „verschiedene Einrichtungen ausgetauscht bzw. neu errichtet werden“. Einige Brennstäbe sollen künftig „Uran-Oxid-Tabletten mit einem zentralen Loch enthalten“. Diese Tabletten sollen als fertige Brennstäbe angeliefert und in Lingen in VVER-Brennelementen verbaut werden.

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